Das Wissen um die Zerstörung globaler Gemeingüter ist vorhanden, dennoch scheitert die Weltgemeinschaft an ihrem Schutz. Der Umweltrechtler Louis Kotzé arbeitet an rechtlichen Normen für besseren Umwelt- und Ressourcenschutz, vor allem auf lokaler Ebene.
Mr. Kotzé, Sie leiten einen Forschungsbereich am New Institute in Hamburg mit dem Titel „Governing the planetary commons“. Worum geht es in Ihrer Arbeit?
Wir beschäftigen uns mit den globalen Gemeingütern in der Klimakrise, häufig aus einer Perspektive des Globalen Südens. Bei globalen Gemeingütern denkt man zunächst an die Atmosphäre, die Ozeane, an Dinge, die sich der Einflussnahme einzelner Staaten weitgehend entziehen. Wir weiten unseren Fokus aber aus auf ökologische Systeme, die von globaler Bedeutung sind, jedoch innerhalb nationalstaatlicher Grenzen liegen wie den Amazonas. Es kann sich aber auch um lokale Systeme wie die Elbe in Hamburg handeln.
Wo und wie kommt die Governance in Spiel?
Die grundlegende Idee globaler Gemeingüter ist, sie im Interesse der gesamten Menschheit zu schützen. Es geht uns daher um eine neue Definition dieser globalen öffentlichen Güter, die es zum Beispiel ermöglichen würde, die Anrainerstaaten des Amazonas zu dessen Schutz zu verpflichten, sie zugleich aber dabei zu unterstützen und in angemessenem Umfang zu entschädigen. Dazu beschäftigen wir uns auch mit den internationalen Institutionen, die gegenwärtig, man muss es leider so sagen, weitgehend versagen, wenn es um einen wirksamen Schutz der globalen Gemeingüter geht.
Es geht also um ein anderes internationales Recht?
Ja, aber das ist nicht notwendigerweise ein einheitliches Recht. Es geht uns um die Weiterentwicklung internationalen Rechts, wie es auf den COPs und in anderen internationalen Formaten diskutiert wird. Aber es geht ebenso um europäisches Recht oder um deutsches Recht, denn wie Deutschland und Europa mit der Umwelt umgehen, wirkt sich direkt aus, auch in anderen Teilen der Welt.
Wie bedeutsam ist der lokale Kontext?
Sehr wichtig. Die gesetzgeberischen und regulatorischen Möglichkeiten einer Stadt wie Hamburg sind groß. Stellen wir uns vor, große Städte würden ihre Möglichkeiten ausschöpfen und international kooperieren, um den Schutz der planetaren Gemeingüter erhöhen: Das hätte einen erheblichen Effekt auf die ökologischen Systeme und würde sich sehr wahrscheinlich auch auf die Gesetzgebung auf nationaler und internationaler Ebene auswirken.
Gegenwärtig beobachten wir aber vielmehr eine sich beschleunigende Klimakrise und zunehmende globale Spannungen. Umfassende globale Kooperation scheint aktuell schwer vorstellbar.
Es gibt meines Erachtens eine große und wachsende internationale Übereinstimmung, dass das internationale Recht und die internationalen Institutionen grundlegend reformiert werden müssen, um besser auf die weltweite Realität einer sich beschleunigenden Klimakrise reagieren zu können. Wir brauchen so etwas wie eine umfassende internationale gesellschaftliche Übereinkunft, jenseits nationaler Interessen und vor allem auch jenseits von Wirtschaftslobbys, die gewaltigen Einfluss darauf nehmen, welchen Stellenwert die sozial-ökologische Transformation in einem Land und auf internationaler Ebene erhält. Das Problem ist: Die Aufmerksamkeitsspannen von Politik und Gesellschaft sind zu kurz, um die Klimakrise als existenzielle Krise zu begreifen, das Geschehen ist zu abstrakt. Erst, wenn die Katastrophe in den Alltag einbricht, wie das etwa im Ahrtal der Fall war, dann beginnen wir, das Ausmaß der Krise zu begreifen.
Sie haben eingangs davon gesprochen, das Geschehen aus der Perspektive des Globalen Südens zu betrachten. Wie stellt sich aus Ihrer Sicht das Verhältnis zwischen Norden und Süden heute dar?
Es gibt eine historisch nie dagewesene Spannung zwischen Nord und Süd, die sich größtenteils auf die Kolonisierung, Ausbeutung und Versklavung der Menschen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas durch Europa und Nordamerika zurückführen lässt. Bis heute haben die Länder des Nordens davon nicht nur ökonomisch profitiert, auch ihr ökologischer Fußabdruck ist um ein Vielfaches größer, vor allem dann, wenn der in der Kolonialzeit angehäufte Wohlstand und die damit verbundenen Emissionen einbezogen werden. Es ist nicht erstaunlich, dass der Süden vor diesem historischen Hintergrund wenig Bereitschaft zeigt, sich von Europa oder den USA zu weniger CO2-Ausstoß drängen zu lassen und die eigene Entwicklung zurückzustellen. Das zeigt sich jedes Jahr erneut auf den COPs, wenn es um Zugang zu Rohstoffen und um die daraus resultierenden Gewinne geht oder um aus der Kolonialzeit rührende Privilegien, die teils immer noch Bestand haben. Da schreiben sich über Jahrhunderte eingeübte Praktiken der Ungerechtigkeit fort, bei denen die Menschen des Globalen Südens bis heute benachteiligt werden. Das setzt sich bis in die westlichen Gesellschaften fort, wo sich das globale Gefälle weiter hält. Die benachteiligten Gruppen wohnen schlechter, haben schlechteren Zugang zu Bildung, Gesundheit und guten Jobs – und es sind überwiegend Migrantinnen und Migranten, also Menschen aus dem Globalen Süden. Sorgen bereiten uns aber auch neue Formen des Kolonialismus, wie er seit einiger Zeit von China betrieben wird. Nichts im Leben ist umsonst, die Chinesen werden für ihre massiven Investitionen in Afrika etwas zurückverlangen.
Allen historischen Bemühungen und internationalen Institutionen zum Trotz scheinen die globalen Machtverhältnisse aktuell aber weniger die Rechte schwächerer Gruppen und künftiger Generationen als das Recht Stärkeren abzubilden.
Das ist leider so. Darum arbeiten wir daran, neue Rechtsprinzipien zu entwickeln, beispielsweise den Ansatz der nachhaltigen Entwicklung durch so etwas wie Hinlänglichkeit, durch die Idee hinlänglicher Entwicklung zu erweitern.
Können Sie das erklären?
Nachhaltigkeit ist ein Konzept, das zwar Rücksicht auf Ressourcen nimmt, dies aber vor allem, um weiter machen und den Ertrag dennoch steigern zu können. Wir versuchen hingegen, eine Beschreibung zu finden, was ausreichender, genügender Wohlstand ist. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, die Anerkennung von Verletzlichkeit zu einem Rechtsprinzip zu machen. Denn Verletzlichkeit betrifft den Planeten, die ökologischen Ressourcen und menschliche Gesellschaften gleichermaßen, aber in unterschiedlicher Weise und unterschiedlichem Maß. Menschen im globalen Süden sind viel verletzlicher als etwa in Deutschland, allein weil die Infrastrukturen sich stark unterscheiden. Verletzlichkeit kann ein konzeptioneller Rahmen sein, der all das sichtbar macht und diesen unterschiedlichen Fragen gerecht wird.
Was bedeutet das konkret? Wie lässt sich das in politisches Handeln übersetzen?
Wir sollten zunächst festhalten, dass die Vereinten Nationen und andere internationale Institutionen immer schon ein idealistisches Projekt waren, dem die Interessen einzelner souveräner Staaten gegenüberstanden. Ich würde eher am anderen Ende ansetzen: Was können wir auf kommunaler, lokaler und regionaler Ebene erreichen? Die EU leistet etwa hervorragende Arbeit in dieser Hinsicht, gerade habe ich mich mit dem Plan zur Bekämpfung von Mikroplastik beschäftigt. Auch auf kommunaler Ebene passiert viel, vor allem in der Verkehrspolitik großer Städte, die Anreize für nachhaltige Mobilität schaffen, kostenlose Fahrräder, kostenloser Nahverkehr etwa. Es gibt viele Lösungen auf lokaler und regionaler Ebene. Ich glaube, dass die Antwort eher hier als auf der großen internationalen Bühne zu finden ist.
Louis Kotzé ist Forschungsprofessor an der juristischen Fakultät der North-West University in Südafrika, Senior Professorial Fellow für Erdsystemrecht an der Universität im britischen Lincoln und derzeit Ko-Vorsitzender des wissenschaftlichen Lenkungsausschusses des Earth System Governance Network. Seine Forschungsschwerpunkte sind Menschenrechte, sozial-ökologische Gerechtigkeit und Umweltkonstitutionalismus, Recht und das Anthropozän sowie Erdsystemrecht. Seit Januar 2023 leitet er am New Institute in Hamburg das Programm „Governing the Planetary Commons: a Focus on the Amazon”.
Erschienen in ESG.Table #67 und auf thenew.institute