Als die Corona-Pandemie 2020 die Welt heimsuchte und der erste Lockdown ausgerufen wurde, waren die damit verbundenen Einschränkungen ein einschneidendes Ereignis. Die bis dahin gewohnte Normalität war plötzlich verschwunden, Reisen unmöglich geworden. Auch die Philosophin Eva von Redecker konnte lange geplanten beruflichen Einladungen nach Kalifornien nicht nachkommen und sah sich gezwungen, in ihrer Landkommune zu bleiben.
Bis dahin kreiste ihre Arbeit unter anderem darum, der Klimabewegung eine philosophische Grundlage zu geben und nach einem Verhältnis zur Welt zu suchen, das in letzter Minute Wege eröffnen könnte, einer sich abzeichnenden „Klimahölle“ (UN-Generalsekretär António Guterres) zu entgehen. „Revolution für das Leben“ war das Buch, in dem sie eine „Philosophie der neuen Protestformen“ entwarf und auch der Entstehung des gegenwärtigen Eigentumsbegriffs nachspürte, den sie als willkürliche „Sachherrschaft“ bezeichnet und ins Zentrum ihrer Kritik am gegenwärtigen Umgang mit dem Planeten stellt.
Das Verständnis und die Konzeption von Freiheit war auch dort schon ein zentrales Thema. Aber die plötzliche Unmöglichkeit, bürgerliche Grundrechte wie Reisefreiheit auszuüben, brachte sie neu zum Nachdenken. Vielen ging es damals so: Die rasante Vollbremsung unseres beschleunigten Lebens war einerseits ein Schock und auf der anderen Seite eine neue Erfahrung von Entschleunigung – und eben von Freiheit.
Für Eva von Redecker war es die Freiheit, bleiben zu dürfen. Eine voraussetzungsvolle Freiheit, wie sie schnell bemerkte, denn sie setzt eine ökologisch und sozial halbwegs intakte Welt voraus, in der man sich gut und gerne aufhalten kann. Eine Freiheit, die vielen Menschen nicht zur Verfügung steht und die sich auch wegen der Klimakrise als Ausgangspunkt für einen Essay über „Bleibefreiheit“ anbot. Es wurde ein Buch daraus, das im Sommer unter eben diesem Titel erschienen ist.
Im pointierten Titel klingt das oft ebenso pointierte Sprechen der Denkerin an, die an der Cambridge University und der New School for Social Research in New York sowie zehn Jahre an der Humboldt-Universität in Berlin tätig war, unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Philosophin Rahel Jaeggi. Blankes Unverständnis, dass im Angesicht des drohenden Verlusts der Bewohnbarkeit des Planeten zu wenig unternommen wird, ist ihr beim Sprechen anzumerken.
Ihr Konzept von Freiheit setzt der Freiheit im Raum, die nicht nur auf Bewegung, sondern vor allem auf stetige Expansion gerichtet ist, ein zeitlich basiertes Verständnis von Freiheit entgegen, das auch die beschränkte menschliche Lebenszeit in den Blick nimmt und an die Stelle eines rasenden Hamsterrades eine „Fülle erfüllter Zeit“ setzt.
Es macht ihr erkennbar Spaß, sich Grundannahmen des Liberalismus vorzunehmen und diese vor dem Hintergrund der planetarischen ökologischen Krise zu sezieren: Eigentum? Will sie nicht etwa abschaffen, erinnert aber an das verbriefte Recht, eben dieses nach Gutdünken und ohne Grund auch zerstören zu dürfen. Warum also kein Konzept von Eigentum, das nicht an willkürliche Verfügung sondern vielmehr an Verantwortung und Lebenszeit gebunden ist? Der Mensch ist frei geboren? Er könne im Laufe seines Lebens frei werden, antwortet von Redecker, nicht Selbsteigentum sei Freiheit, sondern Selbstwirksamkeit. Gegenwärtig werde aber vor allem daran gearbeitet, die Freiheit künftiger Generationen drastisch einzuschränken.
Manchmal scheint ihre Kritik am Neoliberalismus reflexhaft und zu sehr fokussiert auf ein verkürztes Verständnis der „liberalen Tradition“, wenn „ein paar Jahrzehnte Privatisierung, Effizienzsteigerung und Finanzialisierung“ Schuld sein sollen, dass „plötzlich alles marode“ geworden sei, wie sie schreibt. Waren linke Modelle ökonomischer Entwicklung in der Vergangenheit nicht ebenso auf Verwertung fossiler Rohstoffe gebaut? Ging der Freiheitsbegriff des klassischen Liberalismus wirklich nur von Freiheit der Bewegung und Besitzmehrung aus?
Präzise und überzeugend ist ihr Blick dennoch und vor allem dort, wo es um die vielfältigen und komplexen Zusammenhänge menschlichen Lebens mit und in einer bedrohten Natur geht. Das beginnt bei den offensichtlichen Zwängen von Millionen, die aufgrund von Klimafolgeschäden nicht dort bleiben können, wo sie leben. Doch es geht um mehr, es geht um die Bewohnbarkeit des Planeten und den Erhalt des Ökosystems mit seinen unendlichen wechselseitigen Abhängigkeiten. Von Redecker nimmt Ankunft und Flug der Schwalben als Metapher, um eindringlich zu erinnern, was es zu erhalten gilt: Eine Welt, in der Menschen leben, die sich jedes Jahr aufs Neue freuen, wenn die Schwalben kommen. Der Klimawandel bedroht deren Lebensräume und Flugrouten. Ihr Verlust wäre nicht nur schmerzlich für die Umwelt. „Es wäre einfach weniger schön“, sagt Eva von Redecker.